2016 – DIE VISUELLE BILANZ
EIN RÜCKBLICK AUF DIE ›VISUELLE BILANZ‹
Der Geschäftsbericht bleibt – Print und Digital – die wichtigste Publikation eines Unternehmens. Er ist sozusagen der Schlüssel zu einem Unternehmen, dem man vertraut, dem man Geld gibt und der sich weltweit zu bewähren hat. Passt der Schlüssel nicht genau in das diffizile Schloss, das eine Unternehmenswelt preis gibt, dann stimmt etwas nicht. Entweder mit dem Schloss oder mit dem Schlüssel. So war es schon immer mit dem Medium Geschäftsbericht und trotzdem hat sich in nur wenigen Jahren sehr viel geändert. Es gab die alten Zeiten, da stand das nüchternste und reellste aller Bücher Jahr für Jahr um eines erweitert in den Regalen wie eine Akte.Mit wachsender Öffentlichkeitswahrnehmung hatten sich die Geschäftsberichte in der Konkurrenz eines bedeutenden medialen Wettbewerbs zu behaupten. Sie präsentierten sich exklusiv und ein-malig. Inzwischen hat sich der Geschäftsbericht dem Wandel angepasst. Print, HTML oder PDF? Oder kombiniert, oder geteilt – oder was sagt die Zukunft?
DIE FEINJUSTIERUNG DES MULTIMEDIALEN CORPORATE REPORTINGS
Ins gediegene Backsteingebäude des ehemaligen Hamburger Hauptzollamts, umgeben von ruhenden Wassern der Speicherstadt, in dieses schön für Tagungen und Events hergerichtete Haus waren auf Einladung des CCI und von EBERL PRINT und PAPIER UNION mehr als 100 Vertreter von Agenturen und Unternehmen
gekommen, um zu bekräftigen, was sie wussten, um zu lernen, was sie noch nicht kannten, und um besser zu verstehen, wohin die Reise geht. Als Grundlage für spätere Vorträge, die sich mit einer spielerischen Manipulation durch das Bewegte Bild und mit Big Data, mit der Künstlichen Intelligenz beschäftigen, wurde erst einmal Arbeit am Gegenwärtigen geleistet: DIE VISUELLE BILANZ des Corporate Reporting 2016 Ergebnisse.
DIE VISUELLE BILANZ 2016 (Gisela Grosse)
Das CCI gab und gibt dem Thema Geschäftsbericht eine wertvolle Orientierung und ermöglicht mit ihrer wissenschaftlichen Grundierung eine zukunftsweisende, seriöse Weiterentwicklung. Auch aus diesem Grund finden sich immer wieder Profis zum ›HEIDELBERGER FORUM‹ und zur ›VISUELLEN BILANZ‹ zusammen, die das CCI turnusmäßig veranstaltet. Wenn es auch den MM-Wettbewerb als unabhängige Benchmark nicht mehr gibt, blickt die Zunft umso mehr auf diese Veranstaltungen: Das CCI liefert keine Ergänzung zum Wettbewerbszirkus. Es ist etwas anderes: Hier wird unabhängig gearbeitet, wissenschaftlich geforscht und informiert. In Zeiten medialer Umbrüche ist dieses Institut nicht nur der Fels in der Brandung, es begleitet und analysiert und es bietet durch seine Foren willkommene Möglichkeiten zum Austausch und zur Weiterentwicklung.
»Ein Ranking im klassischen Sinne gibt es in diesem Jahr auch deshalb nicht mehr, weil in der Gemengelage inzwischen ein Überangebot an Wettbewerben existiert, die sich gegenseitig kannibalisieren und von Unternehmen auch nicht mehr ernst genommen werden (müssen). Vielmehr kategorisieren wir die Berichte in Herausragend / über Standard / Standard / unter Standard und weit unter Standard«, teilte Professor Gisela Grosse bereits zur Begrüßung in Hamburg mit.
Ein erstaunliches Ergebnis lässt aufhorchen: Die durchschnittliche Qualität für die Gestaltung der Geschäftsberichte im Printbereich
fiel in den letzten drei Jahren von 67,1 % auf 61,8 % zurück – wohingegen im gleichen Zeitraum die mittleren Werte Online steigen. Hinsichtlich der Inhalte hat Grosse festgestellt: »Nur 13 Prozent der Konzerne publizieren einen integrierten Bericht«.
REPORTING 2016 – RÜCKBLICK, AUSBLICK – WIDERSPRÜCHLICHKEITEN (Tatjana Oberdörster)
An diese Analyse konnte Professor Dr. Tatjana Oberdörster in ihrem Vortrag über gesetzliche Anforderungen zur Umsetzung der CSR-Richtlinie anschließen. Für sie steht fest, das Ziel des Geschäftsberichts bleiben die Analysten und Shareholder.
Oberdörster erläutert, dass die bisherigen Informationspflichten zur ›Corporate Social Responsibility‹ der Unternehmen bzw. über nichtfinanzielle Aspekte der Unternehmensführung den Charakter von Empfehlungen hatten. Entsprechend unterschiedlich wurde das The-ma Nachhaltigkeit in den Unternehmen gehandhabt.
Mit dem aktuellen Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 21.9.2016 werden die CSR-Berichtspflichten deutlich verschärft. Ab 2017 müssen Unternehmen ihre CSR-Konzepte im Lagebericht offenlegen und Informationen zu Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelangen sowie zur Achtung der Menschenrechte und zur Bekämpfung von Korruption und Bestechung liefern. Welche Kriterien hier neben bereits bekannten (z. B. in der CO2-Bilanzierung) Anwendung finden werden, ist derzeit noch unübersichtlich. Die Referentin nannte einige Unternehmen, die sich mit den nichtfinanziellen Leistungsindikatoren als entscheidungsrelevanten Informationen intensiv auseinandersetzen und auch aus ihrer Sicht gute integrierte Berichte publizieren. Das Berichtsjahr 2017 lässt dazu auf jeden Fall eine Reihe neuer Erkenntnisse und Gesprächsbedarf erwarten.
Aber nicht nur das Thema Nachhaltigkeit im Geschäftsbericht wird auf neue Füße gestellt. Oberdörster weist darauf hin, dass künftig auch neue Regulierungen in der klimabezogenen Finanzberichterstattung zu erwarten sind. Die Unternehmen werden also konkreter berichten müssen, welchen Beitrag sie für den Klimaschutz leisten.
Professorin Oberdörster sieht in den neuen gesetzlichen Anforderungen der Berichterstattung auch eine Chance, den Geschäftsbericht von ›leerer Rhetorik‹ zu bereinigen. Zum Begreifen dieser Notwendigkeiten gehört wohl auch ein sich veränderndes Bewusstsein der Stakeholder, die dem Geschäftsbericht nicht mehr bibelgläubig vertrauen, sondern sich – ermuntert durch soziale Medien, durch kritische Öffentlichkeitsarbeit – eine gewisse Skepsis aneignen. Die Blauäugigkeit hat sich eine 3D-Brille aufgesetzt und sieht schärfer.
DAS FORSCHUNGSLABOR CCI HILFT ZUKUNFT ZU ERKENNEN (Gisela Grosse)
Die Bewertung kommunikativer und gestalterischer Qualität von Geschäftsberichten erfordert wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den Publikationen und ihrer visuellen Wahrnehmung. Was erwarten Analysten von Geschäftsberichten? Wie und was lesen sie? Und inwieweit leitet sie dabei die Gestaltung? Dazu kurz: Die Gestaltung leitet immer – gut oder schlecht. Nach einer Studie des CCI, die Professorin Gisela Grosse vorstellte, konnte sie den Beweis auf eindrucksvollste Weise vorführen:
»Nach Methoden der sozialempirischen Forschung haben wir Analystengruppen unabhängig voneinander zwei unterschiedlich gestaltete Geschäftsberichte mit identischem Inhalt vorgelegt – den schlecht gestalteten Originalbericht und einen gut gestalteten Vergleichsbericht«. Das Ergebnis zeige deutlich, wie sehr die Leser nach einem grafisch ordentlichen Layout und einer klaren Bildsprache suchen, wie zufrieden sie sind, wenn ihnen durch visuelle Mittel die Orientierung in der inhaltsschweren Publikation erleichtert wird. Dies gelte selbstverständlich auch für diejenigen Analysten, die sich vorgeblich nur für facts & figures interessieren. Und so sehen die Ergebnisse aus:
»Shareholder wollen wesentliche Informationen schnell finden«. »Shareholder wollen finden, was sie interessiert«. »Shareholder wollen ein strukturiertes Layout und eine an-gemessene Leseführung«. »Shareholder wollen mehr über das Management wissen«. »Shareholder wollen angemessene, gut gestaltete Tabellen und Diagramme«. »Shareholder wollen Bilder und Farben, die das Unternehmen repräsentieren«. Das wichtigste Ergebnis: »Eine gute Gestaltung führt im Auge der Shareholder zu einer besseren Bewertung des Geschäftsberichts – und des Unternehmens«.
Eine andere Studie aus Grosses Wissenschaftslabor beschäftigt sich mit den Potenzialen der Illustration im Ge-schäftsbericht: ›Malen nach Zahlen‹ heißt die Publikation. Das Ergebnis: »Die Potenziale der Illustration werden nicht ausgeschöpft. Geschichten zu erzählen und den Unternehmen zu mehr Aufmerksamkeit und Eigenständigkeit zu verhelfen, um damit einen höheren Wiedererkennungswert zu schaffen, ist ein Potenzial der Illustration, welches im Bereich der Finanzkommunikation bisher nicht ausreichend erkannt wird«. Da kann man doch was draus machen!
BEWEGTBILDER VERSTEHEN: METHODIK, ANALYSE, FAKTEN
(Lars Grabbe)
Die Bildsprache, ob Zeichnung oder Fotografie – was erreicht sie in einem Geschäftsbericht? Beispiel Fotografie: Immer noch sehen wir statisch langweilige (viele) Herren und (wenige) Damen in enger oder neuerdings zerstreuter Gruppe (offensichtlich vom Fotografen ›locker machen‹ angesagt) auf den vorderen Seiten des Geschäftsberichts. Mit dem Einzug des Bewegten Bildes in den Geschäftsbericht könnte man sich aber diese Szene vorstellen: Der Vorstand, Aufsichtsrat öffnet die Tür seines Büros, lächelt, lässt eintreten, bietet Platz an und er-zählt in vertraulicher Umgebung mit gewinnendem Ambiente von seinem Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr – keine schlechte Vision.
Dr. Lars Grabbe, Medientheoretiker mit Schwerpunkt Wahrnehmungs- und Kommunikationstheorie sowie Bildwissenschaft, Semiotik und Filmwissenschaft, Vertretungs-Professor an der FH Münster, führte in die Tiefen der unbewussten Wahrnehmung. Was dem interessierten Laien aufging: Als die Bilder laufen lernten, wussten sie noch nicht, dass sie mal Marathonläufer für unsere Bedürfnisse werden würden. Was uns die Filme der Anfangsjahre lehrten, expressiv-dramatische Szenen, die sich für immer wie Stempel in unsere Erinnerung drückten – das war Kunst. Und natürlich Kunst der Manipulation. Und heute ist es die Kunst und Magie des im Alltag beheimateten bewegten Bildes, die uns fasziniert und weich macht. Woher das kommt und wohin es möglicherweise führt, das zeigte uns Lars Grabbe: »Bewegtbilder sind künstliche Artefakte, deren angebotene Stimulation dem Denken aktiv vermittelt wird«. Und weiter: »Holonik beinhaltet die gesamte Herstellung von Design über Produktion und Marketing und erzeugt damit ein bewegliches Herstellungssystem«. Wir wären also mittendrin in der Zukunft, die wir noch gar nicht begriffen haben, die aber wohl von Wissenschaftlern wie Professor Grabbe formuliert und erforscht wird. Das Bewegtbild ist eine Wissenschaft, deren Analyse uns noch manchmal die Augen öffnen wird.
DIE TECHNIK HAT SICH VERÄNDERT – WIR AUCH? (Tobias Albrecht)
Spätestens jetzt ging uns die Regie dieser Tagung auf: Die Hauptveränderungen spielen sich in der Gestaltung ab, sie könnte bei geschickter Anwendung eine erfolgreiche Ressource sein. Auch Tobias Albrecht, seit 1994 im Bereich Marketing Services / Tec tätig, führte die Teilnehmer in die Welt, die wir künftig mit Big Data teilen müssen.
Er stellte die ›Künstliche Intelligenz‹ (Goliath) der einzigen menschlichen Wahrnehmungsmöglichkeit unserer fünf Sinne SEHEN, HÖREN, TASTEN, RIECHEN, SCHMECKEN (David) gegenüber. Da denkt man auch gleich an Sisyphus und seinen quälenden Job, mit diesem Berg (Big Data) fertig zu werden. Zwischen 1990 und 2000 schnellte die Kurve ›Information Available‹ bis in schwindelnde Höhe, während die menschliche Aufmerksamkeits-Fähigkeit im unteren Bereich hängen bleibt. Ergebnis: Der Mensch ist nicht digital. Aber er hat dieses Big Data geschaffen, das Gold von morgen. Abfallprodukte aus Überwachungssystemen, Bankgeschäften, Bezahlkarten, elektronischer Kommunikation, Gesundheitsbändern, globalen Navigationssystemen usw. Wir sind alle unbewusste Zulieferer, für eine Welt, die uns manipuliert. Da denkt man doch an Goethes Faust und seinen Zauberlehrling: »Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los!«
Sein umfangreiches Wissen stellt Albrecht unter anderem in den Dienst der Analyse und Bewertung von Geschäftsberichten. Albrecht erarbeitete in einem QLAB-Experiment die kognitive Berechnung von zwei DAX 30-Berichten, die psychologischen Profile, Vorworte und so weiter. Ziel waren qualitative Unterscheidungen – mit entsprechenden Resultaten und möglichen Folgerungen. Könnte so manchem Geschäftsbericht guttun …
FAZIT
In einer abschließenden Diskussion waren sich Referenten und Zuhörer einig, eine Menge dazugelernt zu haben. Von der handwerklichen Arbeit am Geschäftsbericht, seinem inhaltlichen Wandel und seinen gestalterischen Notwendigkeiten bis zu den Visionen für eine Zukunft, die allerdings bereits Gegenwart ist. In den Pausen wurde viel diskutiert und die Meinungen gingen in eine Richtung: Die Tagung sei infor-mativ, streitbar, nachdenklich stimmend, notwendig als Austausch und anregend für die Arbeit. Und Professor Klaus Klemp, Design- und Kunsthistoriker und Kurator Design des Museums Angewandte Kunst Frankfurt am Main, hatte kompetent den roten Faden durch die Arbeitssitzung geführt. Er sprach aus, was allgemein empfunden wurde: Professorin Gisela Grosse ist der Spiritus Rector dieser Veranstaltung, die den ›trockenen‹ Geschäftsbericht zu einem Qualitätsprodukt im Wandel der Entwicklungen beeinflusst.