2017 – HEIDELBERGER FORUM GESCHÄFTSBERICHTE
Wie definieren Sie ›nachhaltige Berichterstattung‹?
Die gesetzlich geforderte Ausweitung der nichtfinanziellen Berichterstattung bringt Unternehmen ins Schwitzen. Die Umsetzung der neuen CSR-Richtlinie stellt jedoch nicht nur die Macher, sondern auch die Prüfer von Geschäftsberichten vor neue Herausforderungen. Ein simples ›How to‹ gibt es nicht. Vielmehr muss jedes Unternehmen seinen ganz eigenen Weg finden, sich gegenüber vielfältigen Erwartungen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu präsentieren.
Am 14. und 15. September 2017 war es wieder so weit: Das CCI lud zum Heidelberger Forum Geschäftsberichte in die Print Media Academy in Heidelberg ein. Als die zentrale Institution für ›Best Practice Sharing‹ in Sachen Geschäftsbericht bietet das Forum den teilnehmenden Unternehmen neben fachlichen Vorträgen auch die Möglichkeit des Austausches mit anderen Geschäftsberichts-Verantwortlichen. Das aktuelle Thema in diesem Jahr: ›Nachhaltige Berichterstattung‹. Schon seit Längerem auf der Tagesordnung, bekommt das Thema Nachhaltige Berichterstattung durch die neue CSR-Richtlinie des Bundestages aktuell besondere Relevanz. Und bringt die, die die neuen gesetzlichen Vorgaben in diesem Jahr erstmals umsetzen müssen, ganz schön ins Schwitzen.
So standen neben der Theorie auch ganz praktische Fragen der Umsetzung im Vordergrund der Veranstaltung: Wie berichten wir – separat oder integriert? Was bedeutet das für die Wirtschaftsprüfung? Und wie vermitteln wir unsere Idee der nachhaltigen Berichterstattung glaubwürdig und transparent? Zwei Tage mit hochrangigen Vorträgen aus unterschiedlichsten Perspektiven und Zeit für ergiebige Gespräche mit Kollegen haben den Teilnehmerinnen und Teilnehmern geholfen, Antworten für ihr Unternehmen zu finden.
Tag 1: Überzeugend berichten – aber was genau und wie?
Von Beginn an war klar, dass dieses 11. Heidelberger Forum reichlich Stoff für Diskussionen bieten würde. So ›überraschte‹ Dr. Herbert Meyer, ehemaliger Finanzvorstand und heutiges Aufsichtsratsmitglied bei Heidelberger Druckmaschinen, bei der Begrüßung der Gäste mit zwei klaren Thesen. Zum einen sprach Meyer sich für eine separate Berichterstattung aus: Die Masse der Information biete es an, diese getrennt voneinander in eigenen Berichten zu verfeinern. Zum anderen betonte Meyer die Bedeutung des gedruckten Berichtes: Als Oldtimer würden diese an Wert niemals verlieren. Ob diese Meinung von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern geteilt würde, das sollte sich in den kommenden zwei Tagen herausstellen.
Corporate Reporting
Traditionell eröffnete die Veranstalterin, Prof. Gisela Grosse, das Forum mit ihrer ›visuellen Bilanz‹ über die Berichterstattung des Jahres. Sie zeigte, was die Saison der Geschäftsberichte 2016 der DAX-30-Unternehmen in Deutschland hergab – an Gutem wie an Schlechtem. An Kuriosem, an Interessantem und an Neuem. Erst diese Bilder machen am praktischen Beispiel begreifbar, was das CCI seit nunmehr 14 Jahren jedes Jahr auf der Basis umfassender Kriterien wissenschaftlich bewertet: die kommunikative und visuelle Qualität der Geschäftsberichte.
Im dritten Jahr bezieht sich die Analyse des CCI neben dem Printbericht auch auf die Onlineberichterstattung der Unternehmen – das Corporate Reporting wird als Ganzes betrachtet. Hier zeigt sich ein recht einfaches Ergebnis: Unternehmen, die gute Printberichte machen, sind meist auch online stark. Und vice versa.
Besonders gelungen ist in diesem Jahr der Geschäftsbericht von BMW. Der bildgewaltige, emotional und informativ überzeugend aufbereitete Bericht schaffte es als Einziger sowohl in der Print- als auch in der Online-Bewertung in die Kategorie ›herausragend‹. Dass dies nicht selbstverständlich ist, offenbart die durchschnittliche Gestaltungsbewertung aller DAX-30-Geschäftsberichte, die in diesem Jahr gegenüber den Vorjahren gesunken ist. Werden die Geschäftsberichte etwa ›schlechter‹? In der Tat, so beobachtet Frau Prof. Grosse, werden die Geschäftsberichte zwar farbiger und differenzierter. Jedoch verzichten die Unternehmen zunehmend auf ein erzählendes Jahresmotto. Neben diesen Einbußen in der kommunikativen Qualität sinkt auch die visuelle Qualität: Die Unternehmen nutzen immer weniger Bilder. Und auch das Layout vieler Berichte entspricht mehr dem Schema F als den gestalterischen Regeln eines spannungsvollen Seitenaufbaus. Darunter leidet die Glaubwürdigkeit der Unternehmensdarstellung.
Grosse mahnt an: »Glaubwürdigkeit entsteht aus der Kombination von Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit. Während Kompetenz über Text dargestellt werden könne, lässt sich Vertrauenswürdigkeit nicht über Text materialisieren. Dafür braucht es das Bild.« Oder, im Online-Medium, den Film. Dahinter verbergen sich große Herausforderungen, nicht zuletzt an die CEOs. Diese müssen an Medienaffinität und -kompetenz noch ordentlich nachlegen. Noch immer sind, auch bei den Vorreitern der internetbasierten Berichterstattung, deutlich unterschiedliche Qualitäten zwischen Foto und Film beobachtbar. Dennoch gibt es, vor allem im Bereich Onlineberichterstattung, auch positive Entwicklungen zu verzeichnen. Ein Blick in die CCI-Statistik zeigt: Während die Onlineberichte schon in den Vorjahren interaktive Funktionen aufwiesen, so sind sie in diesem Jahr deutlich multimedialer, vernetzter und sogar dialogischer. Auch haben fast alle Unternehmen die Notwendigkeit erkannt, ihre Berichte mobile responsive aufzubereiten. So konnte sich die HTML-Bericht-erstattung, zumindest in ihrer überwiegenden Form der hybriden Darstellung von HTML und PDF, deutlich neben der Printberichterstattung behaupten.
Nichtfinanzielle Berichterstattung 2017 – (berechtigte) Abkehr vom Prinzip der Freiwilligkeit
Das Ergebnis der CCI-Statistik, wonach die Nachhaltigkeitsberichte der DAX-30-Unternehmen an Bedeutung gewinnen, zeigt sich auch in dem Vortrag von Prof. Tatjana Oberdörster, Wirtschaftswissenschaftlerin und Expertin für nichtfinanzielle Berichterstattung. Ihr Thema: die neue CSR-Richtlinie und ihre Bedeutung für die berichtenden Unternehmen. Eines ist klar: Diese Richtlinie, die im März 2017 im Bundestag verabschiedet wurde, ändert eine vermeintlich grundlegende Eigenschaft der Nachhaltigkeitsberichterstattung: ihre Freiwilligkeit. So war die Berichterstattung über nichtfinanzielle Leistungsindikatoren zwar schon seit 2004 im HGB vorgesehen. Das Prinzip der Freiwilligkeit hatte jedoch zur Folge, dass der Bedeutungszuwachs des Themas Nachhaltigkeit für die Investoren nicht zwangsläufig mit einer Vertrauenswürdigkeit der Berichterstattung einherging. In der Praxis hat jedes Unternehmen berichtet, wie es wollte, innerhalb oder außerhalb des Lageberichts, integriert oder in separaten Berichten, quantitativ oder nur qualitativ usw. Damit, so der Gedanke der CSR-Richtlinie, soll jetzt Schluss sein.
Das Ziel der CSR-Richtlinie, durch einheitliche Standards die Konsistenz der Berichterstattung zu erhöhen, stellt sich in der Umsetzung als Mammutaufgabe heraus. So sind Unternehmen neuerdings zu quantitativ messbaren und vergleichbaren Angaben gezwungen, beispielsweise über ihr Geschäftsmodell, Mitarbeiterbelange, ökologische Auswirkungen, Umgang mit Risiken oder Korruptionsbekämpfung. Diese umfangreichen Daten zum Veröffentlichungszeitpunkt des Geschäftsberichts zu liefern, stellt die Unternehmen jedoch vor ein erhebliches Zeitproblem. Und wie Frau Oberdörster es formuliert: »Eine Eins- oder Null-Antwort auf die Herausforderungen der nichtfinanziellen Berichterstattung gibt es nicht.« Gerade für Betriebswirte ist dies eine eher unliebsame Situation. Vielmehr sind die Unternehmen selbst aufgefordert, ihre relevanten nichtfinanziellen Leistungsindikatoren zu definieren und aus der Masse der heterogenen Erwartungen die für ihr Unternehmen wesentlichen Informationen für die Berichterstattung herauszufiltern. Zu filtern heißt nicht, wie Frau Oberdörster mit Verweis auf deutlich reduzierte Berichte wie diejenigen von Siemens, Allianz oder der Münchener Rück anmerkt, wesentliche Inhalte rausschmeißen oder in separate Nachhaltigkeitsberichte zu verlagern. »Das Problem des ›Disclosure Overloads‹ «, so Oberdörster, »darf kein Totschlagargument für sinnlose Kürzungen sein.« Dennoch bleibt festzuhalten, dass die gesetzlichen Verschärfungen neben den Unternehmen auch die Wirtschaftsprüfer in Atem halten. Noch ist nicht geklärt, wie die CSR-Richtlinie eigentlich geprüft wird, und dennoch sind bereits weitere Verschärfungen der Berichtspflichten in Sicht. Es bleibt also spannend!
Die thyssenkrupp Geschäftsberichte im Wandel
»Krise als Chance« war auch das Motto des Vortrages von Frau Dragica Sikić, die seit Ende 2014 für den GeschКftsbericht von thyssenkrupp verantwortlich zeichnet. In einem spannenden Einblick in die Praxis der Berichterstellung zeigt Sikić, wie thyssenkrupp sich und seinen GeschКftsbericht in einer wirtschaftlichen Krise vollständig neu erfunden hat.
Die Entwicklung der thyssenkrupp Berichterstattung ist wohl sehr gut mit einer Berg- und Talfahrt zu vergleichen. Galten die thyssenkrupp Berichte bis 2012 als beispiellos in der Aufwendigkeit der Gestaltung, so wurde das Budget des GeschКftsberichts von 2012 bis heute um insgesamt rund 80 Prozent gekürzt. Als Frau Sikić die Projektleitung für den GeschКftsbericht übernahm, bot sich ihr folgendes Bild: Weniger Ressourcen bedeutet weniger Budget und weniger Leute. Statt Vergabe an externe Agenturen erfolgt die Erstellung des GeschКftsberichts im Haus, als Word-Datei. Der Druck des GeschКftsberichtes ist aus Kostengründen eingestellt (bis auf wenige einfache Druckexemplare für die Hauptversammlung). Die Aussage an Frau Sikić damals: »Machen Sie was draus, aber rechnen Sie damit, dass es künftig eher noch weniger Budget und Ressourcen geben wird«.
Einen Koloss wie thyssenkrupp zum Umdenken zu bewegen ist gar nicht so einfach, sind Аnderungen doch immer auch mit internen WiderstКnden und Аngsten bei Mitarbeitern verbunden. Was folgte, waren viele kleine Schritte: Die Kollegen nach den Wünschen ihrer Zielgruppen befragen, ein Redaktionssystem einführen, Prozesse und Inhalte optimieren, sich aufs Wesentliche und Inhalte konzentrieren sowie kürzen. Ein Ergebnis der Befragung: Der Bericht wird als ein klassischer GeschКftsbericht gebraucht, nicht unbedingt jedoch als gedruckte Version. Bis heute ist eine Minimalauflage für die Hauptversammlung ausreichend.
Das Ziel der ›neuen‹ Berichterstattung von thyssenkrupp: Der neue thyssenkrupp GeschКftsbericht sollte seine Bedeutung zurückerhalten, aber ohne den damaligen Aufwand. Der ist einfach nicht mehr angemessen. Heute ist der GeschКftsbericht wieder klassisch aufgebaut, aber einfach. Er ist angemessen gestaltet und verfügt sogar über eine kleine Bildstrecke. Seit 2012 berichtet thyssenkrupp als eines von heute nur vier Unternehmen integriert. Bereits mit seinem diesjКhrigen GeschКftsbericht wird das Unternehmen die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung gem. КІ CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz inhaltlich erfüllen
Von ›online, too‹ zu ›online first‹
Integriert und interaktiv ist auch das Reporting von SAP, wie der Geschäftsberichts-Verantwortliche Dr. Tobias Groß in seinem Vortrag vorstellte. Die Gründe dafür: SAP berichtet seit 2012 integriert, weil das Unternehmen davon überzeugt ist, dass langfristiger wirtschaftlicher Erfolg gleichermaßen von finanziellen und nichtfinanziellen Aspekten in der Strategie und der Unternehmenssteuerung abhängig ist. Und SAP berichtet vorwiegend online, da es als Software-Unternehmen eine Vorreiterrolle einnehmen möchte. In der Umsetzung heißt ›integriert‹, dass die Hälfte der wesentlichen Key Performance Indicators (KPIs) des Unternehmens nichtfinanziell sind, neben Umsatz und Ergebnis sind das Kundentreue und Mitarbeiterzufriedenheit. Das Berichtsteam aus Accounting, Investor Relations und Nachhaltigkeit steuert gemeinsam die Berichtsprozesse. Das schafft Synergien und macht den Prozess der Berichterstellung insgesamt einfacher, sagt Tobias Groß: »Wenn wir nur einen – integrierten – Bericht haben, muss ich mich nicht mit zweien herumschlagen«.
Die Unternehmenskommunikation spielt bei der Berichterstellung dagegen nur eine untergeordnete Rolle: »Unser Geschäftsbericht hat eine klar umrissene Zielgruppe: der Regulator, klassische Investoren und SD-Investoren.« Damit gilt der Geschäftsbericht nicht als Kommunikationswerkzeug im übergeordneten Sinne. Der sog. ›Online- first-Ansatz‹, so Dr. Groß mit Verweis auf die Connectivity-Matrix von SAP, ist bei einem integrierten Bericht nur konsequent, da via HTML die Verknüpfungen von finanzieller und nichtfinanzieller Information deutlich sichtbarer werden. Zudem kann der Nutzer selbst entscheiden, welche thematische Sicht (ökonomisch, ökologisch oder sozial) bzw. welche Darstellungsform er bevorzugt.
Zwar verfügt auch SAP über eine Druckfassung des Geschäftsberichts, dabei handelt es sich jedoch nur um einen Auszug aus dem Online-Angebot. Stattdessen betont Groß die internen Vorteile des Online-Reportings: So erfolgt der HTML-Transfer direkt auch in Word- bzw. Excel-Dateien und liegt im Fall der SAP komplett in Unternehmenshand. Die Berichterstattung wird damit nicht nur kostengünstiger, sie wird vor allem eines: schneller. Von ihrer Zukunftsvision eines ›Echtzeit-Reportings‹, einer HTML-Berichterstattung auf Knopfdruck, ist jedoch auch die SAP noch einige Schritte entfernt. Vielmehr überlegt auch SAP, zunächst zu einer Hybridlösung zu kommen. Nicht nur wird der Anhang des Geschäftsberichts laut der eigenen Nutzerauswertung kaum geklickt, auch könnten durch eine PDF-Umsetzung Schwierigkeiten und Zeitverlust in der Wirtschaftsprüfung vermieden werden.
Am späten Nachmittag ging ein intensiver erster Tagungstag zu Ende. Kurz blieb den Teilnehmern Zeit, zu verschnaufen und das Gelernte zu verarbeiten – bevor man sich am Abend zum Gala-Dinner wiedertraf. Während die Sonne unterging, ging es für die Gäste hinauf in den 12. Stock der Print Media Academy. Zu Sekt und Häppchen und einem Panorama von Heidelberg, das nach und nach erleuchtet wurde. Frau Grosse hatte das Vergnügen, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern den diesjährigen Ehrengast vorzustellen, Prof. Christian Strenger. Christian Strenger, glühender Verfechter von Corporate Governance, Gründer internationaler Kodizes und Träger des Bundesverdienstkreuzes, mahnte in seiner Dinnerspeach eindrücklich: »Integriertes Reporting erfordert integriertes Denken.«
Wie Tatjana Oberdörster am Morgen merkte auch Christian Strenger an, dass die Forderungen hinter der neuen CSR-Richtlinie nach mehr unternehmerischer Verantwortung eine lange Geschichte aufwiesen und daher durchaus absehbar waren. Dass die Bedeutung der nichtfinanziellen Leistungsindikatoren in vielen Unternehmen trotzdem immer noch schmählich vernachlässigt wird, zeigen traurige aktuelle Beispiele wie die Dieselthematik des Volkswagen-Konzerns. Analysten schätzen den Verlust des Konzerns auf über 20 Milliarden Dollar. Im Falle von VW habe auch der Aufsichtsrat versagt, so Strenger. Eine Aufsichtsratstätigkeit sei heute anspruchsvoller denn je, die Aufgabe jedoch dieselbe geblieben: die Interessen der Investoren zu vertreten.
Tag 2: Was können Berichtemacher von Anderen lernen?
Nachdem die Vorträge des ersten Tages des Heidelberger Forums Geschäftsberichte fachlich sehr nah am Kernthema der Berichterstattung lagen, so wagte der zweite Tag mit übergeordneten Fachvorträgen den Blick über den Tellerrand hinaus. Diese Mischung ist laut Prof. Gisela Grosse klar im Konzept der Veranstaltung verankert: »Neben der zentralen Möglichkeit des Best Practice Sharing, d.h. des Austausches untereinander, ist das Heidelberger Forum auch als Impulsgeber gedacht, aus dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer viel für das eigene Handeln mit nach Hause nehmen«, so die Veranstalterin Prof. Gisela Grosse. Sie freute sich, gleich zwei hochkarätige Redner begrüßen zu können: Prof. Michael Stoll, Experte für Informationsgrafiken an der Hochschule Augsburg, und Uli Mayer-Johanssen, Designerin und Spezialistin für strategische Markenführung. Beide konnten die Aufmerksamkeit des Publikum für eine Stunde auf ihr Thema lenken und Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb, aber auch jenseits der Berichterstattung aufzeigen.
Prof. Michael Stoll, Hochschullehrer aus Augsburg, widmete sich in seinem Vortrag voll und ganz seiner Herzensangelegenheit: der Informationsgrafik. Was genau ist eigentlich Informationsgrafik und was kann sie leisten? Nach Stoll kommt Informationsgrafik immer dann zum Einsatz, wenn es um schlecht zugängliche, unübersichtliche, abstrakte oder komplexe Sachverhalte geht. Dies ist praktisch überall der Fall – im Journalismus genauso wie in der Unternehmenskommunikation. »Infografiken können komplexe Strukturen erklären, die sonst kein Mensch mehr versteht«, sagt Stoll und verweist auf das Ziel von Informationsgrafiken, nicht nur Daten darzustellen, sondern auch Verhältnisse und Zusammenhänge zwischen den Daten zu erklären. »Bei einer guten Grafik wird die Interpretation gleich mitgeliefert«. Dies ist schon seit Jahrtausenden der Fall, wie Stoll mit einer anschaulichen Sammlung beispielhafter Informationsgrafiken zeigt – angefangen bei den Höhlenzeichnungen von Kriegern und ihrem Jagdwild. Das Ziel von Informationsgrafiken ist es, Fakten von einem abstrakten System, z. B. dem Zahlensystem, auf ein visuelles System zu übertragen und damit Inhalte schneller und unmittelbarer erschließbar zu machen. Dabei wird deutlich, dass bei Informationsgrafiken neben den Inhalten auch die Tonalität von großer Bedeutung ist. »Oft fehlt es den Informationsgrafiken an Attraktivität, das Unwiderstehliche fehlt.« Michael Stoll appelliert daran, bei der Erstellung von Informationsgrafiken nicht nur die harten Fakten, sondern auch die emotionale Komponente zu berücksichtigen. Auch das Zusammenspiel der Grafiken mit dem Layout muss aus einem Guss sein. Dies gilt im Print- wie im Onlinebereich.
Durch die Möglichkeiten der Animation steigt die Bedeutung der Informationsgrafik noch einmal, da sich das Auge immer nach der Bewegung ausrichtet. Wenn Unternehmen Informationsgrafik in ihrer Kommunikation verankern wollen, so ist es laut Stoll unerlässlich, sich zunächst mit dem Gesamtkonzept der Kommunikation und der Rolle der Informationsgrafik in diesem Konzept auseinanderzusetzen. Zudem erfordert die Erstellung einer Informationsgrafik dringend fachliche Expertise. Ist dies gegeben, leisten die Informationsgrafiken durch ihre gute Planbarkeit und vielschichtige Systematik mehr, als es ein Text in komplexen Zusammenhängen zu leisten vermag. »Eine gute Infografik ist wie ein Buffet, von dem man sich nimmt, was einem gefällt.«
Identitätsbasierte Unternehmens- und Markenführung
Ein mitreißendes Plädoyer für die Kraft von Kommunikation und Gestaltung lieferte die versierte Kommunikationsberaterin Uli Mayer-Johanssen mit ihrem Impuls-vortrag über die sog. ›Marke 5.0‹. ›Marke 5.0‹ – ein Begriff, der beim ersten Hören dem Marketing entspringt und so gar nichts mit der seriösen, faktenorientierten Unternehmensberichterstattung zu tun hat. Was ist damit gemeint? Laut Uli Mayer-Johanssen leben wir in einer Welt, die sich immer schneller verändert und immer komplexer wird. Kommunikation hat in dieser überbordenden Welt die zentrale Aufgabe, Fixpunkt zu sein und Menschen Orientierung zu bieten. Um dies zu leisten, ist es für Unternehmen notwendig, eine klare Haltung zu haben und diese immer wieder zu wiederholen: »Wir müssen dieselbe Geschichte immer wieder neu erzählen«. Erzählen – damit meint sie nicht nur die Inhalte, sondern betont auch das Visuelle. Der visuelle Eindruck entsteht unmittelbar, schneller als jeder Text, in Bruchteilen von Sekunden.
Zudem müssen die Unternehmen umdenken. Die eigene Kommunikation aus Sicht des Empfängers betrachten. Es gilt nicht, welche Botschaft ›transportiert‹ werden soll, sondern was bei den Menschen davon ankommt. Die Menschen, davon ist Uli Mayer-Johanssen überzeugt, sind die »Geiz ist geil«-Entwicklung der letzten Jahre leid. Eine Rückbesinnung auf qualitativ hochwertige Produkte, persönliche Beziehungen und nachhaltiges Wirtschaften werden die Werttreiber der Zukunft sein. »Die Veränderungsbereitschaft der Menschen hinkt dem technologischen Fortschritt hinterher.«
Die Menschen müssen berührt, begeistert und mitgenommen werden. In der Kommunikation geht es immer auch um Sinnstiftung. Das heißt, den Menschen in den Fokus zu rücken, und nicht die Zahl (z. B. Mitarbeiter als Humankapital zu bezeichnen). Und es heißt auch, abstrakte Begriffe mit Leben zu füllen. Das gilt nicht nur, aber auch für die Unternehmensberichterstattung: »Nachhaltigkeit als Begriff sagt alles und nichts«, mahnt Uli Mayer-Johanssen. Sie appelliert an alle Kommunikationsverantwortlichen, aus dem Silo-Denken herauszukommen und sich mit anderen, beispielsweise Kollegen aus anderen Abteilungen, auszutauschen. ›Fremde‹ Perspektiven helfen, das eigene Profil zu schärfen: »Unternehmen sind nichts anderes als Menschen, sie sind nur komplexer. Es sind viele Menschen, die zusammenarbeiten«.
CCI LAB: Was bewegt sich in der Welt der Geschäftsberichte?
Wie wird sie sich in Zukunft kommunikativ und visuell verändern? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das CCI auch, und zwar im Rahmen seines kleinen Forschungslabors, des CCI-LAB. Einen Einblick in die Themen, die das CCI-Lab bewegt, gab es im letzten Block des Heidelberger Forums. So stellte Gisela Grosse an Beispielen aktueller Geschäftsberichte vor, wie sich ›Nachhaltigkeit‹ in Geschäftsberichten über Kommunikation und Gestaltung, z. B. Informationsgrafik, materialisiert.
Die Triple Bottom Line, die Idee der gleichberechtigt nebeneinanderstehenden ökonomischen, ökologischen und sozialen Leistung, kennen wir alle. So finden sich auch Darstellungen dazu zuhauf in den Geschäftsberichten. Das Problem der Triple Bottom Line ist: Es wird suggeriert, dem Unternehmen seien alle Ziele gleich wichtig. Und es wird auch suggeriert, das Unternehmen könne alle Ziele gleichzeitig erreichen. Das ist in der Praxis jedoch kaum möglich. Besser ist es da, Prioritäten widerzuspiegeln, wie dies Wesentlichkeitsmatrizen leisten. Oder gar Zusammenhänge zwischen den einzelnen Kapitalien zu visualisieren. »Die Visualisierung von Nachhaltigkeit in ihrer Vielschichtigkeit steckt noch in den Kinderschuhen. Hier sehen wir ein riesiges Potenzial«, konstatiert Gisela Grosse.
Vertrauensbildung im Online-Geschäftsbericht
Ähnlich sieht es bei der Onlineberichterstattung aus. Selbstverständlich sind alle Unternehmen mit ihrer Berichterstattung im Internet. Doch wie genau ein ›medienspezifischer‹ Onlinebericht aussieht, da gibt es bei den DAX-30-Unternehmen höchst unterschiedliche Ansichten. Wie Alena Voelzkow, wissenschaftliche Mitarbeiterin am CCI anhand von Ergebnissen ihrer Dissertation vorstellte, haben viele Unternehmen Vorbehalte gegenüber den ›veränderten‹ Spielregeln in der Online-kommunikation. Viele Vorbehalte gegenüber der Berichterstattung im Netz resultieren aus der Unwissenheit über die Nutzung. So kennen alle Unternehmen ihre Auflagenhöhe, kaum ein Unternehmen wertet jedoch Klick- und Downloadzahlen aus.
»Ein medienspezifischer Online-Geschäftsbericht stellt den aktiven Nutzer mit seinen individuellen Interessen und Rezeptionsvorlieben in den Mittelpunkt«, so Voelzkow. Ein PDF hat viele Vorteile für die publizierenden Unternehmen. Es gilt daher auch nicht zu Unrecht als das wichtigste Medium der Unternehmensberichterstattung, aktuell wie auch in Zukunft. Den Unternehmen müsse jedoch klar sein, so Alena Voelzkow, dass die alleinige Beschränkung auf ein PDF von einer onlineaffinen Nutzerschaft als Abschottung betrachtet wird. »Wer im Internet das Vertrauen der Nutzer gewinnen will«, so Voelzkow, »der muss sich von der streng durchchoreografierten Unternehmenspräsentation lösen und das Kommunikationsangebot gegenüber einem aktiven Publikum öffnen.« Eine Hybridlösung, die Kombination aus PDF und HTML, scheint hier ein gangbarer Kompromiss zu sein, der sich in der Publikationslandschaft der Unternehmensberichterstattung nach und nach durchsetzt.
Die Verknüpfung von Print- und Onlinebericht über Augmented Reality
Aktiv werden muss das Publikum auch bei einem Thema, das ebenfalls gerade dabei ist, sich in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu etablieren: Augmented Reality. Wie Sebastian Netz, ehemaliger Mitarbeiter des CCI und heute selbstständiger Designer am Beispiel des aktuellen Porsche-Geschäftsberichtes vorstellte, bietet diese Technologie auch für die Unternehmensberichterstattung neue Kommunikationsmöglichkeiten.
So zeigte Netz, wie ein Team aus Designern, Redakteuren und Künstlern für Porsche einen Bericht mit Augmented Reality umgesetzt hat: »Durch die Nutzung von Augmented Reality können Bilder und Grafiken plötzlich zum Leben erweckt werden«, so Netz. Was es dazu braucht, ist ein Device (z. B. IPad oder Handy) und die entsprechende App. Anhand weniger prägnanter Punkte erkennt das Gerät in einem statischen Bild das Objekt. Dann geht es los: Plötzlich zischt der Wagen an einem vorbei, der Motor röhrt und die Informationsgrafik erwächst dreidimensional als Pyramide aus dem Buch hervor. Solche Pilotprojekte, das gibt Netz gerne zu, sind nicht ganz billig. Durch ihre Einfachheit in der Umsetzung und die Vielseitigkeit der Anwendungsmöglichkeiten wird sich Augmented Reality jedoch langfristig durchsetzen.
›Nachhaltige Berichterstattung‹ – was bleibt?
Am Nachmittag des zweiten Tages geht eine spannende und vielseitige Veranstaltung zu Ende. Gisela Grosse nutzt die Abschlussdiskussion, um die Ergebnisse festzuhalten. Die Bedeutungszunahme der Nachhaltigkeit in der Berichterstattung ist nicht mehr aufzuhalten. Das Integrierte Reporting ist zwar nicht die einzige Möglichkeit, den neuen Anforderungen der CSR-Richtlinie nachzukommen, jedoch scheint diese Umsetzung für die meisten Unternehmen die konsequenteste Lösung zu sein. In der Praxis schafft die CSR-Richtlinie neue Herausforderungen, die die Unternehmen dazu zwingen, ihre Strukturen zu ändern. Geschäftsberichts-Verantwortliche müssen stärker als bisher mit anderen zusammenarbeiten, Perspektiven wechseln, aus der Masse der Information sinnhaft filtern. Dabei steht nicht nur der Adressat, d. h. der Leser des Geschäftsberichts, im Fokus der Macher. Eine wesentliche Zielgruppe ist das eigene Management. Dabei wird sich wohl erst langfristig zeigen, ob nachhaltige Berichterstattung die Unternehmen nicht sogar tatsächlich nachhaltiger macht.
Für die Umsetzung hat das diesjährige Heidelberger Forum wieder aufgezeigt, wie Kommunikation und Gestaltung die Unternehmen wesentlich unterstützen, sich in ihrer Berichterstattung glaubwürdig darzustellen. Ein Fixpunkt in einer Welt vielfältiger Eindrücke zu sein. Das gilt nicht nur für die Bilder, sondern im besonderen Maße auch für Informationsgrafiken. Für die komplexen Zusammenhänge zwischen finanziellen und nichtfinanziellen Leistungsindikatoren bietet sich die Darstellung über Informationsgrafiken in besonderem Maße an. Dasselbe gilt für die Online-Kommunikation. Gerade wenn heterogene Interessen an die Unternehmen herangetragen werden, die nicht alle im vollen Umfang in einem Printbericht abgedeckt werden können, bietet das Internet mögliche Lösungen an. So heißt es, offen zu sein für einen stetigen Wandel an inhaltlichen und medialen Vorgaben, der sich nicht aufhalten lässt. Unternehmen können und sollten diese Entwicklungen intensiv beobachten, sich austauschen und es als Chance begreifen, ganz eigene Wege zu gehen. Das Heidelberger Forum bot in diesem Jahr wieder eine wunderbare Gelegenheit dazu.
Daher blieb aus Sicht des Publikums die Bitte an das CCI, seine Analysetätigkeit weiterzuführen und nach Möglichkeit sogar auszuweiten. PDFs zu bewerten. Nicht nur den Geschäftsbericht, sondern auch die Kommunikation als Ganzes zu betrachten. Ein hehres Ziel für ein kleines Team, aber auch das CCI stellt sich seinen Herausforderungen …
Ein Bericht von Alena Voelzkow, CCI