Rückschau auf das 8. Heidelberger Forum Geschäftsberichte
Das 8. Heidelberger Forum stellte Traditionen in Frage und bejahte die Impulse der Erneuerungen. Print oder Online? Die Zukunft des Geschäftsberichts stand wieder einmal auf dem Prüfstand.
»Ein Medium zwischen Print und Online« – Frage, These, Widerspruch? Das Seminar in der 11. Etage des Hochhauses der Heidelberger Druckmaschinen AG, der Print Media Academy, hat sich in den letzten sommerlich heiteren Septembertagen 2011 große Fragen gestellt und mit Antworten nicht gespart. Es wollte »den Geschäftsbericht als Leitmedium der Unternehmenskommunikation in Print und Online aus Expertensicht analysieren, diskursiv möglichen Lösungen ein Stück näher kommen und dadurch neue Impulse für das eigene Handeln erhalten«.
WARUM SOLLTEN WIR MITEINANDER REDEN, WENN WIR AUCH KOMMUNIZIEREN KÖNNEN?
Die zahlreichen Teilnehmer, sowohl börsennotierter als auch nicht börsennotierter Aktiengesellschaften – für die das Heidelberger Forum als ›best practice sharing‹ in Sachen Geschäftsbericht über Jahre schon Qualitätsmerkmal ist – diese Vertreter interessierter Unternehmen ließen sich hoch über Heidelbergs Häusern zunächst über die Ergebnisse berichten, die zu den besten Geschäftsberichten im Manager-Magazin-Wettbewerb 2011 führten. Die Veranstalterin – das nun seit 8 Jahren die gestalterische Qualität der Geschäftsberichte bewertende Institut (Corporate Communication Institute der Fachhochschule Münster, CCI) unter Leitung von Professor Gisela Grosse – ließ deutlich erkennen, wie sich die Qualität der visuellen Ausstattung im Laufe der Zeit geändert hat: von üppigen seitenumfänglichen Ausmaßen zu krisenbedingten Verschlankungen bis hin zur zurückhaltenden Eleganz, seltener in Aufmerksamkeit heischenden lauten Farben. Diesmal präsentierten sich auffallenderweise viele in Lacken und Prägungen, deutliche Hinweise auf ihre Kostbarkeit. Ob die gelegentlich mehr als 400 Seiten starken Dokumente nicht an Umfang und Zumutbarkeit ihre Grenzen erreicht haben, wurde in verschiedenen Zusammenhängen infrage gestellt. In Herstellung und Verarbeitung habe sich viel getan, aber Außergewöhnliches sei rückläufig, so Professor Gisela Grosse. Das zu begrüßende Niveau lasse leider Herausragendes vermissen. Sorgenkind seien nach wie vor die Informationsgrafiken, obwohl diese doch ein wesentliches Element der Geschäftsberichte sind. Bis auf wenige Ausnahmen ist eine gleichbleibend tiefe Navigationsstruktur im Konzernabschluss und im Konzernanhang leider noch zu selten.
Was die inhaltliche Bewertung angeht, stellte Dr. Tatjana Oberdörster für das Prüfteam Inhalt ganz allgemein eine kontinuierlich sich verbessernde Qualität fest. Durch die jährliche wissenschaftliche Bewertung des seit 1995 vom Manager Magazin veranstalteten Wettbewerbs ›Der beste Geschäftsbericht‹ sei man dem Ziel der Förderung von Qualität in der Berichterstattung wesentlich näher gekommen. Qualität meint ja auch: eine Informationsbasis, mit der sich Leser einen aussagekräftigen Überblick über die prognostizierte Entwicklung des berichtenden Unternehmens verschaffen können. In die gleiche Richtung ging auch die Einschätzung von Professor Rudi Keller, Prüfteam Sprache, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Die Qualität habe sich im Laufe der Zeit, eben auch durch die jährliche Unterwerfung des wissenschaftlichen Bewertens so verbessert, »dass wir nun die Konsequenz gezogen haben, ein strikteres Malus-System zu etablieren und ›schärfer‹ zu urteilen«, da die Differenzierungsmöglichkeiten in den oberen Punktbereichen inzwischen zu eng geworden seien. In einem so lehrreichen wie auch unterhaltsamen Vortrag zeigte Keller an Satzbeispielen die versteckten Botschaften misslungener Sprachschöpfungen: bürokratische Schaumgeburten an Formulierungen, die ins Dickicht ›kannitverstan‹ führen. Sprache ist nun mal verräterisch, besonders wenn sie angepasst wird wie ein schlecht geschneiderter Anzug, der Schwächen kaschieren will, sie aber umso mehr betont. Die Sprache zeigt eben, wes Geistes Kind sie nutzt. Empfehlung des Referenten: Aufrichtigkeit, Klarheit, Vertrauenswürdigkeit. Ach ja, ertrauenswürdigkeit, denn das war das Thema: Dazu gehöre auch, sich Schwierigkeiten zu stellen, Zweifel deutlich zu formulieren – anstatt die Leser mit sprachlichen Nebelschwaden im Unklaren zu lassen. Daraus entstanden schon manche Kalauer, die Keller zum Besten gab.
WO SPRACHE SICH IN BILDERN FINDET
Die Sprache hat auch da ihre Grenzen – oder muss sich neu erfinden – wo das mediale Zeitalter uns schon längst in Besitz genommen hat: der bereits selbstverständliche Umgang mit Handy, I-phone, I-pad … Nebenbei, fast alle Teilnehmer nutzten ganz selbstverständlich die elektronischen Helfer in den Pausen zur Kommunikation mit der Firma, es wurden Arbeitsinformationen abgefragt, vermittelt, Verabredungen getroffen, gegoogelt, Fahrpläne studiert, SMS lautlos ins All gesendet. Robin Karpp, Leiter Investor Relations und Gastgeber der Heidelberger Druckmaschinen AG, brachte es auf den Punkt: »Auch die Finanzkommunikation muss die Neuen Medien nutzen, um bestehende Beziehungen zu pflegen und weitere Zielgruppen zu erreichen, die im Zeitalter von Web 2.0 aufwachsen. Vor allem Privataktionäre müssen auf den Kanälen angesprochen werden, auf denen sie sich täglich bewegen. Dazu zählen neben Onlineblogs auch verschiedene andere Plattformen wie Twitter und Facebook. Eine weitere Notwendigkeit stellt die Optimierung der Inhalte der Finanzkommunikation auf die neuen Ausgabegeräte wie Smart-Phones und Tablet-PCs dar. Im Gegensatz zu der zielgerichteten, nachhaltigen Berichterstattung steht im Zeitalter von Social Media die schnelle und breite Informationsverbreitung im Vordergrund.«
»NEHMEN SIE EINE WEITERE PLATTFORM MIT AN BORD?«
Da war es wieder, das aktuelle Thema, das mit einem grafisch-haptischen Cursor-Pfeil auf der eleganten Einladung nach oben wies: Dahin geht die Zukunft. Am Beispiel des noch jungen Unternehmens SolarWorld AG zeigte deren Vertreterin, Sybille Teyke, wie das Unternehmen ihre Klientel ansprechen will: so papiersparend wie möglich, nachhaltig, weborientiert. Schon allein aus Kostengründen will das weltweit nach Sonnenvermarktung suchende Unternehmen schnell und präzise und vorne sein. »Die SolarWorld verbindet die Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung in einem integrierten Bericht. Besonders relevante ökologische und soziale Themen werden eingehend im Konzernlagebericht dargestellt. Für alle weiteren Details zur Nachhaltigkeitsleistung nutzen wir das Medium Internet.« Natürlich: Das erfolgreiche Unternehmen hält sich jung, passt sich dem veränderten Nutzerverhalten spontan und ideenreich an. Es gibt Videoclips, mit der Handkamera weltweit spontan abgefragte Statements (kostet eine Lächerlichkeit gegenüber der aufwendigen Inszenierung von Vorstands-Gruppen-Porträts, z. B.), die sagen es bewegt-bildlich: Wir sind da. Mit der Online-Berichterstattung, so die Referentin, ist man aktueller, kann schneller agieren, reagieren, kommunizieren. Informationen treffen zielgenau, vorausgesetzt die Suchmaschine ist gut. Beliebtes Argument gegen Print: Papiersparen, bessere Klimabilanz durch Reduktion der Co2-Emissionen. Wobei Kritiker bemerkten, dass die Installation neuer Server mit ihrem Stromverbrauch natürlich auch in die CO2-Bilanz einfließt … Die Portofrage beim klassischen Versand von manchmal hunderttausenden von HV-Einladungen mit oder ohne Kurzbericht scheint die Etats der Abteilungen mittelgroßer und großer Unternehmen zu beschäftigen. Es muss gespart werden, aber wo effizient? Ob ausgerechnet am Produkt der Einladung Qualität geopfert werden soll, ob weniger wiegendes, klein-formatiges Papier das Image mehr schädigt, als es Kosten spart? SolarWorld schickt ihren Online-Usern nach Wunsch (Print on Demand) einen in zwei derbe Pappkartons gehefteten Papier-Lage-Bericht. Einziger Hinweis auf den Absender: ein Firmenstempel mit Inhaltsübersicht. Nach Discounter-Philosophie eine nützliche Angelegenheit, nicht mehr, nicht weniger.
»ZWEI MEDIEN – EINE BOTSCHAFT«
Da zeichnet sich eine radikale Wende ab, das ist ein katzenhafter Sprung ins Gesicht der edlen Business-Outfits unserer traditionellen Geschäftsberichts-Dokumente. Ändern sich die Dress-Codes schneller als die Überlegungen in den Chefetagen? Viele Seminar-Teilnehmer brachten von zu Hause die Überzeugungen mit, die Online-Version sei zwar inzwischen selbstverständlich, aber doch nur eine der Technik geschuldete Ergänzung. Die Online-Präsentationen jedoch, so zeigten die lebhaften Diskussionen, drängeln sich vor, sie verlangen sozusagen nach Gleichstellung. Auch in der ihnen eigenen Gesetzmäßigkeit der Handhabung. Und die Vorträge und Diskussionen zeigten: Das ist ein weites, weites Feld. Will die Revolution ihre eigenen Kinder fressen? Eine Umfrage bei den Unternehmen, vom CCI veranlasst, zeigt eine eher etwas zögerliche Auffassung. Aus den Antworten ergibt sich eine gewisse Unsicherheit, wie man sich den Herausforderungen stellen soll. Bereits die Auswahl der Referentinnen und Referenten dieses 8. Heidelberger Seminars war eine reizvolle Mischung, gab sowohl den Konservativen als auch den Onlinern genügend Gelegenheit, nachdenklich zu werden. Die Vertreterin der BASF SE, Silke Christiansen, sprach sich zwar für integrierte Berichterstattung online und print aus, aber das Medium Online sei in einem weltweit bestimmenden Chemie-Konzern die angesagte, international abgerufene Sprache mit all ihren bewegten und beweglichen Bilddokumenten und den sich wie von selbst aktualisierenden Präsentationen und Botschaften. Den klassischen Abonnenten des Geschäftsberichts gibt es damit nicht mehr, lediglich über Klickraten auf einzelne Themen und die Verweildauer lassen sich Rückschlüsse auf die Nutzer des Geschäftsberichts schließen. Die meisten Teilnehmer sahen dann doch die Vorteile des gedruckten Geschäftsberichtes: Es ist und bleibt das Spiegelbild des Unternehmens, ist und bleibt die Visitenkarte, das Persönlichkeitsprofil, ein Buch, das eine Fortsetzungsgeschichte schreibt, jederzeit greifbar, haptisch, sinnlich, das Berichtsjahr in all seinen Facetten, inhaltlich, grafisch, rechnerisch nachweisbar. Denn: Wie haltbar ist das Medium Online in einer sich überstürzenden Zeit? Überholt es sich nicht ständig selbst? Ist es nicht bereits Vergangenheit, wenn es sich gerade formuliert? Wie viel Qualität, Seriosität, Nachdenklichkeit geht unterwegs verloren? Professor Norbert Nowotsch lehrt seit 1987 am Fachbereich Design der FH Münster. Er zeigte die Vergänglichkeit der Technik an alten, schweren VideoGeräten, den ersten Walkman, den ersten tragbaren Computern (23 kg) und ihren heute nicht mehr (oder nur mit immensem Aufwand und Kosten) zu konservierenden Inhalten. An einem Beispiel führte er vor, wie eine in einem einjährigen Prozess entstandene multimediale und interaktive CD-Rom innerhalb von drei Jahren zu Datenschrott wurde. Neueren technischen Entwicklungen prognostiziert er eine Lebensdauer von zwei Jahren! Und er warnte vor der kritiklosen Gläubigkeit an jedes neue Produkt, das der Markt wie die letzte Offenbarung auswirft, obwohl die nächste Generation bereits getestet wird. Er belegte, ironisch unterfüttert, die oft dümmliche Geschwätzigkeit der heutigen Werbe- und Kommunikationsflut, zeigte aber auch die Leichtgläubigkeit und Hingabe der immer jünger werdenden User an ›Social Media‹ ohne Rücksicht auf Preisgabe persönlichster Daten. Schöne neue Welt? Wo führt sie uns hin? Sonia Lopez-Sanchez von der GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) stellte das ›Media Efficiency Panel‹ vor, mit dem erstmals die Möglichkeit personalisierter Internetnutzung und Verweildauer in Beziehung zum Kaufverhalten im Internet untersucht werden kann. So werde zwar Google am häufigsten angewählt, die längste Verweildauer verzeichne aber Facebook. In der sich anschließenden Diskussion fragte man sich erstaunt, wer sich denn für diese doch einigermaßen intimen Einblicke in persönlichste Lebens-Konsumgewohnheiten und für welchen Preis zur Verfügung stelle? Lopez-Sanchez: Die Probandensuche sei einfach, gern stellt man sich zur Verfügung – und oft nur für ein bescheidenes Give-away. Die Lebensgewohnheiten scheinen sich immer mehr am Internet zu orientieren. Oft sind es Stunden um Stunden, die man vor dem Rechner verbringt, der mehr und mehr Bedürfnisse zu befriedigen und neue zu wecken scheint, begleitet von einem Ameisengewusel werbender Unternehmen (die zum Beispiel solche Umfragen zur richtigen Einschätzung ihrer Zielkonsumenten in Auftrag geben). Auch hier geht’s schon im Kinderzimmer los. Die Studien zeigen erschreckend wachsende, Zeit verschlingende Gewohnheiten, Millionen von Nutzerstunden verenden hier. Der Untertitel der Einladung hatte ja mit dem Thema ›Der Geschäftsbericht – ein Medium zwischen Print und Online‹ gespielt. Das Seminar füllte diesen Zwischenraum mit Anregungen, Bedenklichkeiten, Visionen und Festhalten an den schließlich durch die hohe Schule der Wettbewerbe gereiften Standards. Die Antwort könnte sein: Nicht zwischen den Stühlen nimmt die Zukunft Platz, sondern auf beiden Stühlen. Die Referenten Keller und Nowotsch hatten die Teilnehmer auf die Qualität der Sprache im Gedruckten und die sichere Konservierung dort selbst aufmerksam gemacht. Auch wenn uns der ›apple‹ der Erkenntnis in neue digitale Welten führt, der traditionelle Buchmarkt boomt unverdrossen. Beweis sind die bereits unübersichtlichen Neuerscheinungen, ob Belletristik oder Sachbuch – das Buch geht nicht unter, wie einst ängstlich prophezeit. Die Medienkonvergenz scheint uns sicher, denn die Neuen Medien erfordern nicht nur eine medienspezifische Aufbereitung von Inhalten, sondern auch einen nachhaltigen Umgang mit Daten, eine dauernde Anpassung der Daten an neue technische Standards. Professor Grosse abschließend: »Letztendlich wird jedes Unternehmen selbst entscheiden müssen, wie es welche Medien angemessen nutzt.«
Ein Bericht von Lisette Nichtweiss