2018 – DIE VISUELLE BILANZ
Transparenz sichtbar machen
2018 IST DAS JAHR 1 NACH DER EINFÜHRUNG DES CSR-RUG
(Corporate Social Responsibility-Richtlinie-Umsetzungsgesetz). Daher stand bei der diesjährigen visuellen Bilanz die Visualisierung von Nachhaltigkeitsaspekten ganz oben auf der Agenda. Etwa 130 Gäste aus Agenturen und Unternehmen waren vom CCI dazu eingeladen, mit Experten des Corporate Reporting über vielfältige Aspekte und Sichtweisen auf das Thema zu diskutieren.
BEST OF CORPORATE REPORTING 2018: DIE VISUELLE BILANZ 2018
Mit gewohnt geballter Ladung an Statistik und Bildbeispielen präsentierte Prof. Gisela Grosse, wissenschaftliche Leiterin des CCI, die Ergebnisse der diesjährigen Analyse der DAX 30-Geschäftsberichte. Dabei ging es zunächst um Zahlen, Daten, Fakten rund um das Reporting. Wie viele Print- und Onlineberichte gibt es überhaupt? In welchen Formaten sind Onlineberichte aufbereitet? In welcher Form kommen die Unternehmen ihrer Verpflichtung zu einer ›Nichtfinanziellen Erklärung‹ nach? Wie viele Unterneh-men haben ein Jahresmotto? Welche Schriften werden verwendet?
An den Ergebnissen der Gestaltungsbewertung lassen sich interessante Entwicklungen ablesen: So sinkt beispielsweise die durchschnittliche Gestaltungsqualität der Printberichte, während sich im Onlinebereich ein Aufwärtstrend abzeichnet. Unter- nehmen mit einem guten Printbericht schneiden auch in der Onlinebewertung in der Regel besser ab. Und: Die Bewertung der allgemeinen Gestaltungsqualität guter Berichte korreliert stark mit der Visualisierung von Nachhaltigkeitsaspekten.
Es zeigt sich auch, dass in der Gemengelage zwischen Print und Online bei den Unternehmen Kehrtwenden an der Tagesordnung sind. Unternehmen mit langer Printtradition berichten plötzlich nur noch online, Unternehmen mit einem klaren Fokus auf die digitale Berichterstattung preisen auf der Website die Bestellfunktion gedruckter Exemplare an. Die Publikationslandschaft im Corporate Reporting ist im Wandel.
Dabei kristallisieren sich ein paar Unternehmen heraus, die die Herausforderung der Berichterstattung in Kombination von Print und Online besonders gut meistern. Frau Prof. Grosse zeigte am Beispiel von BASF, Bayer, BMW, Daimler, der Deutschen Post, Vonovia und Merck, wie sich die DAX-Konzerne in den verschiedenen Mediendarstellen und wo die Stärken und Schwächen der diesjährigen Geschäftsberichte liegen. Die Dos und Don’ts der Gestaltung anhand konkreter Headlines, Layouts, Bilder, Diagramme oder Filme vor Augen geführt zu bekommen, gab dem Publikum reichlich Anlass zum Staunen und zum Schmunzeln.
TRANSPARENZ SCHAFFEN DURCH INFORMATIONSGRAFIKEN
Was heißt eigentlich Transparenz? Und wie kann Informationsgrafik dazu beitragen? Nach Prof. Daniel Braun von der Münster School of Design der FH Münster hat Transparenz in erster Linie mit Ehrlichkeit und Objektivität zu tun. Informationsgrafik kann dazu beitragen, Fakten objektiv und seriös darzustellen, oder auch das Gegenteil bewirken – je nachdem, wie genau es die Ersteller mit der Darstellung von Verhältnissen oder Zusammenhängen nehmen. So entscheidet beispielsweise die Wahl des Ausschnitts oder der Genauigkeitsgrad der Beschriftung darüber, ob eine Informationsgrafik Fakten verdeutlicht oder verzerrt. Am praktischen Beispiel einer Darstellung von ›Nettofinanzschulden‹ in einem Geschäftsbericht zeigte Prof. Braun anschaulich, wie unklare Zusammenhänge durch ein geschicktes Umarrangieren von Reihenfolgen, Farben und Abstän den plötzlich deutlich werden. »Eine Grafik zeigt immer einen bestimmten Blickwinkel auf ein Thema«, betont Braun. So kann Informationsgrafik neben der reinen Faktendarstellung auch genutzt werden, um Sachverhältnisse zu verbildlichen. Wie ein infografisches Illustrationsbeispiel über bedrohte Tierarten aus dem ›Guardian‹ zeigt, wird der Ernst der Lage auf brutale Weise deutlich, wenn alle weltweit verbliebenen Tiere einer bedrohten Art ohne Probleme in einen einzigen New Yorker UBahn-Waggon passen.
GLAUBWÜRDIGKEIT IN DER HERSTELLUNG
Tobias Albrecht weiß als ein erfahrener Produktioner davon zu berichten, dass neben Inhalten und Gestaltung auch die Herstellung eines Geschäftsberichts über die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens Auskunft geben kann. Das haptische Erlebnis eines Printberichts erzeugt – beispielsweise über sein Material, seine Farbe, seinen Geruch, das Geräusch und die Bewegung des Blätterns – in Bruchteilen von Sekunden einen bestimmten Eindruck beim Betrachter. »Achten Sie auf die sensorische Kompetenz Ihres Produktes«, rät Tobias Albrecht. Dies gelte sowohl für den Druck als auch für die Verarbeitung des gedruckten Geschäftsberichts. Denn nicht immer steht die Verpackung in einem ange messenen Verhältnis zum Inhalt, was sich durchaus negativ auf die Beurteilung der Wertigkeit des Produkts und damit auch des Absenders auswirken kann. In der Diskussion um Print und Online geht es nicht darum, sich für einen Kanal zu entscheiden, sondern sich die Stärken der beiden Kanäle bewusst zu machen. Viele aktuelle Beispiele aus dem Reporting zeigen, dass die Verarbeitung von Geschäftsberichten trotz gleichbleibenden oder sogar steigenden Gewinnen der Unternehmen immer einfacher wird. »Da stimmt die Relation nicht«, konstatiert Albrecht, schließlich würde man doch auch keine teure Uhr in billigem Zeitungspapier ins Schaufenster stellen.
VORSTANDSFOTOGRAFIE IN GESCHÄFTSBERICHTEN
Bei der Fotografie von Managern geht es vorrangig darum, die Führungskompetenz einer Person zu visualisieren. Hat der Mann oder die Frau die notwendige Entschlossenheit, das Durchsetzungsvermögen und die visionäre Kraft, die es für die Steuerung eines Unternehmens braucht? Wie Prof. Dr. Reinhold Happel, Professor für Kunst und Designgeschichte an der Fachhochschule Münster an Bildbeispielen zeigte, bedienen sich Unternehmen bei der Fotografie ihrer Führungskräfte bestimmter Kompositionskriterien. Diese sind nicht neu, sondern referieren auf Modelle, die sich in der Bildkomposition seit dem Mittelalter etabliert haben. So galt die ›selbstbewusste Beherrschung‹ schon damals als Habitus von Eliten. Auch heute noch entscheidet das Zusammenspiel von Nähe und Distanz darüber, ob eine Person als ihres Amtes würdig empfunden wird oder nicht. Neben Mimik, Gestik, Ausdruck und der Wahl der Perspektive will auch die Wahl des Hintergrundes wohl bedacht sein. Die heute moderne ›SelfieOptik‹, wie sie beispielsweise im Bericht von Covestro auftaucht, kann mit ihrer subjektiven und spontanen Ästhetik keine Vertrauenswürdigkeit erzeugen. Zum Ende des Vortrags warf Prof. Happel die Frage auf, welches Darstellungsmodell für Frauen in Führungspositionen sich in den kommenden Jahren durchsetzen werde.
INTERMEDIALITÄT IM CORPORATE REPORTING
Dass das Corporate Reporting heute im Wesentlichen auch online stattfindet – da sind sich die Berichtsverantwortlichen in Unternehmen einig. Nur in welcher Form man den Geschäftsbericht denn nun am besten ins Netz bringt – daran scheiden sich die Geister. Wie Dr. Alena Voelzkow, wissenschaftliche Mitarbeiterin des CCI, anhand von Ergebnissen ihrer Dissertation und einer Unternehmensbefragung des Instituts vorstellte, ist und bleibt das OnlinePDF, meist als ›digitale Kopie‹ des linearen Printberichts, das wichtigste Medium der Berichterstattung. Dagegen spalten sich in puncto HTMLBerichterstattung die berichtenden Unternehmen in zwei Lager: Die Gegner von HTMLBerichten sagen, der zusätzliche Aufwand und Kosten stünden in keinem Verhältnis zu den als gering wahrgenommenen Zugriffszahlen – HTML lohne sich also nicht. Die Befürworter wiederum gehen von einer steigenden Entwicklung von Zugriffen aus und optimieren ihren Onlinebericht immer weiter, gestalten ihn zunehmend interaktiv und multimedial. »Das Informations und Rezeptionsverhalten von Nutzern im Internet ist ein völlig anderes als im Printbericht«, so Dr. Voelzkow. Nutzer greifen schnell und punktuell Informationen ab und verarbeiten diese individuell weiter. Dies ist mit dem Ziel des Unternehmens, sich wie in einem durchgestalteten Printbericht möglichst umfassend und konsistent zu präsentieren, nur schwer in Einklang zu bringen. Ob und inwieweit Unternehmen ihr Kommunikationsangebot dennoch öffnen, bleibt ihre strategische Entscheidung.
GESCHICHTEN ZUM GESCHÄFTSBERICHT – ANEKDOTEN AUS 15 JAHREN IR-ALLTAG
Die alltägliche Kommunikation mit Investoren kann mitunter sehr erheiternd sein. Wie Patrick Kiss, Head of Investor Relations bei dem MDAXUnternehmen ›Deutsche Euroshop AG‹, berichten konnte, erhält er viel Feedback von Aktionären und Investoren zum Geschäfts bericht. Einen ganzen Ordner voller Briefe und Postkarten hat Herr Kiss gesammelt. So kritisieren die Leser beispielsweise das Format, mahnen die richtige Platzierung von Städten auf Landkarten an oder loben einen Geschäftsbericht als »den ersten, den meine Frau komplett gelesen hat«. Man müsse sich als Unternehmen klar machen, so Kiss, dass das Durchschnittsalter der Aktionärsschaft bei über 70 Jahren liege. »Manche sterben buchstäblich aus.« Der Geschäftsbericht der Eurohhop AG, der in den letzten Jahren diverse Designpreise einfahren konnte, genießt bei den Aktionären Kultstatus und ist ein beliebtes Sammelobjekt. Aber nicht nur deswegen setzt Herr Kiss auf den gedruckten Bericht. Aus HTML ist er 2012 ausgestiegen – die Klickraten haben ergeben, dass der Onlinebericht pro Kontakt doppelt so teuer war wie der Printbericht. »Das lohnt sich einfach nicht«, so Kiss. Außerdem kann man in dem gedruckten Bericht doch so wunderbar Fragen und Kritik markieren.
FAZIT
Mit den Einsichten von Herrn Kiss und der anschließenden Podiumsdiskussion ging eine interessante und anregende visuelle Bilanz 2018 zu Ende. Vielfältige inhaltliche und mediale Aspekte des Corporate Reporting wurden beleuchtet, verschiedene Perspektiven diskutiert, Kontakte wurden geknüpft. Das Wasser des Mittelkanals rund um die schwimmende Tagungs location kAI10 leuchtete bereits in der tief stehenden Herbstsonne, als Prof. Grosse resümierte:
»Das Corporate Reporting befindet sich in einer Zeit des Umbruchs – inhaltlich wie medial. Unternehmen müssen den Wert des Geschäftsberichts für die eigene Unternehmensdarstellung neu definieren – jetzt ist die richtige Zeit dafür.« Nicht zuletzt aus diesem Grund kündigte sie an, im nächsten Jahr auch die Wettbe werbskriterien des CCI den aktuellen Entwicklungen anzupassen. Die Trennung zwischen einer Print und Onlinebewertung wird aufgehoben und neben der HTMLBerichterstattung auch das PDF berücksichtigt.